Die Insel Amrum im Winter: Wo die Leere zur Weite wird

Wind, Watt, Wellen: Die Nordsee flutet uns in der kalten Jahreszeit mit warmen Gefühlen. Nichts wie hin also nach Amrum!

Autorin: Anna Lena Benz

„Leute, wir gehen erst mal los! Warm genug angezogen seid ihr sicherlich“, sagt der Wattführer Dirk, der uns von der Insel Föhr nach Amrum gebracht hat. Es ist unheimlich kalt und windig – ich freue mich, dass ich mich heute Morgen so dick eingepackt habe, auch wenn sich die Thermo-Wathose etwas ungewohnt anfühlt und ich die Eisschicht im Watt mit jedem meiner Schritte zum Knistern und Knacken bringe.

Ich ziehe meinen warmen Schal hoch bis zur Nase und meine Mütze so weit herunter, dass sie meine Ohren wieder vollständig bedeckt. Auch die anderen in meiner Gruppe sehen aus wie Michelin-Männchen.

Die für vier Stunden geplante Wattwanderung führt hinaus zu den großen Prielen, den „Flüssen“ auf dem Meeresboden. Das ist ein wunderbares Erlebnis. Und im Winter besonders exklusiv. Nur einer Handvoll Menschen ist es vergönnt, in der kalten Jahreszeit einen Blick in diesen großen, weiten Raum zu werfen und ganz tief durchzuatmen. Man hat das Gefühl, in einer unendlichen Leere unterwegs zu sein.

Amrum Winter: Holzstege
Die Wanderwegen führen durch die Dünen zum Leuchtturm. © Arvid Peschel – stock.adobe.com

Selbst das Licht wirkt hier ganz anders. Zauberhaft. Der Nationalpark-Wattführer ist auch im Winter öfter im Watt unterwegs – das gibt mir Vertrauen. Die Luft ist außergewöhnlich rein und klar. Mit einem atemberaubenden Himmel im Rücken, voller bunter Farben, die einen Aufbruch der Sonne ankündigen, bleibt unser Wattführer uns zugewandt stehen. Der Wind trägt seine Stimme zu unseren Ohren: Er erzählt uns von den Tieren, die im Wattenmeer leben und dass es erstaunlich viele gibt, die den kalten Winter überleben. Hinter ihm sehe ich eine beinahe arktische Kulisse mit Eisschollen, die wohl bei Ebbe und Flut zusammengeschoben wurden. Das Licht der Sonne bringt den Eisgries zum Glitzern.

Auch im Winter lohnt es sich, nach Amrum fahren

Der Kompass von Dirk führt uns sicher – weiter hinaus, tiefer hinein in diese wundersame Welt. Bis zur Prielkante marschieren wir. Es ist ein richtiges Abenteuer und wir alle sind gespannt, wo wir den Priel durchschreiten können. Das Wasser reicht mir beinahe bis zum Schritt. Ich lehne mich leicht in den Wind und merke, dass ich fast getragen werde. Wie weit kann ich mich bei dieser Windstärke wohl nach vorne lehnen, ohne umzufallen? Leise durch die Eiskulisse stapfend, marschieren wir weiter. Nur das Knacken der entstandenen Eisflächen und das Rauschen des Windes sind zu hören.

Seit einiger Zeit sind wir nun schon unterwegs. Ganz besonders fällt mir die vollkommene Einsamkeit auf, die gerade im Wattenmeer herrscht. Bei dieser Eiseskälte traut sich wohl niemand hier heraus. Und dabei ist das Wattenmeer im Winter doch so magisch. Immer mal wieder bleiben wir stehen und hören unserem Wattführer aufmerksam zu.

Amrum im Winter entdecken: Eine Gruppe Menschen bei tiefstehender Sonne im flachen Meerwasser
Norddorf, Germany – October 16, 2020: Walking through the sea from Amrum to Föhr during sunrise

Nachdem wir die atemberaubende Kulisse regelrecht aufgesogen haben, geht es zum Insel-Café. So fantastisch dieser Ausflug auch war – ich freue mich jetzt wirklich auf einen heißen Friesentee. Im Café gibt es einen gemütlichen Raum mit Kamin. Da will ich jetzt hin. Etwas behäbig schäle ich mich aus Jacke und Gummihose, ziehe mir dicke Socken an und falle in einen Sessel direkt neben dem Kamin. Viele aus meiner Gruppe tun es mir gleich.

Zwischen dem Gras auf den Dünen von Amrum spazieren

Begeistert tauschen wir uns über die heutigen Erlebnisse aus, während die Wärme des Kaminfeuers nach und nach wieder Leben in unsere Gliedmaßen bringt. „Soll ich Ihnen vielleicht ein heißes Getränk zum Aufwärmen bringen?“, fragt mich die herzliche Bedienung des Cafés. „Oh ja, einen Friesentee und ein Stück Sanddorntorte hätte ich gerne!“, sage ich und lächle dankbar und freundlich zurück. Traditionell werden weiße Kandisbrocken, auch Kluntjes genannt, und Sahne dazu serviert. So wie der Kamin mich von außen wieder aufgewärmt hat, so wohltuend ist der heiße Tee von innen. Nach all den vielen herrlichen Eindrücken schlafe ich heute sicherlich gut. Ich kann es kaum erwarten, morgen früh aufzustehen und in den nächsten unvergesslichen Tag zu starten.

Amrum in Winter: Blick auf Holzzaun, Strand und Dünen
Auch im Winter ein Blick, der nichts an Magie einbüßt. © 0120.eu – stock.adobe.com

Ob bei beeindruckenden Wanderungen oder Radtouren durch das Watt von Amrum, Föhr, Langeneß oder die Hallig Hooge – bei REISEN MIT SINNEN erwarten euch echte Oooh & Aaah-Momente: sowohl in der kalten als auch in der warmen Jahreszeit.