Birkenwasser zapfen: Gesunder Trend oder sinnloser Stress für den Baum?

Egal ob Instagram, Youtube oder die einfache Google-Suche: Überall wird Birkenwasser als das neue Superfood betitelt. Man findet Anleitungen, wie man es zapft und lange Listen über Krankheiten und Wehwehchen, die damit angeblich besiegt werden können. Dabei habe ich mich gefragt, ob der Baum die so wichtigen Nähr- und Heilstoffe nicht selbst benötigt und einfach mal nachgefragt.

Schon vor einigen Jahren schworen Naturpädagogen und Influencer auf Birkenwasser, jetzt findet man immer mehr Anleitungen wie man es selbst zapfen kann. Als Kind habe ich gelernt, dass die Rinde den Baum schützt und man sie auf keinen Fall kaputtmachen soll. Und so hat sich mir die Frage gestellt, ob Birkenwasser zapfen nicht eher den Baum schädigt. Aber mal von vorne. Was ist eigentlich dieses Birkenwasser und wieso sollte man es trinken?

Birkenwasser zapfen: Ein Baum mit wenig Ansprüchen

Birken wachsen gerne in lichten Wäldern und Mooren auf sauren Böden. Sie kommen im Gegensatz zu anderen Bäumen mit wenig Nährstoffen aus. Die Birke ist eine Pionierbaumart, die zu Beginn recht schnell wächst, nach einiger Zeit aber nachlässt und so von anderen Bäumen wieder überholt wird. Weltweit gibt es etwa 40 bis 100 verschiedene Arten. Birken sind Flachwurzler. Das heißt, ihre Wurzeln wachsen eher in die Breite als in die Tiefe. Sie saugen das Wasser also nicht tief aus dem Boden, sondern nur umliegend aus den oberen Erdschichten.

Regnet es mehrere Tage nicht, ist das sogenannte Birkenwasser eine wichtige Reserve und gleichzeitig Nährstoffquelle für den Baum. Dieses Birkenwasser ist nichts anderes als Regenwasser vermischt mit gespeicherten Nährstoffen aus der Birke. Im Frühling saugt der Baum es literweise aus dem Boden und schickt es in alle Äste, damit diese neue Blätter und Triebe bilden können. Bis zu 200 Liter können das pro Tag sein. Im Birkenwasser stecken für den Baum wichtige Inhaltsstoffen wie:

  • Aminosäuren
  • Eisen
  • Kalium
  • Kalzium
  • Magnesium
  • Natrium
  • Phosphor
  • Proteine
  • Zink
  • Vitamin C

Eine ganz gute Mischung also, die dem Baum ziemlich viel bringt. Er sorgt vor, damit er im Frühling wieder austreiben kann.

Birkenwasser Birken im Wald nach oben in den Himmel fotografiert
Birken wachsen gerne in lichten Wäldern und Mooren auf sauren Böden. Sie kommen im Gegensatz zu anderen Bäumen mit wenig Nährstoffen aus. © Eva Goldschald

Birkenwasser zapfen: Das verbirgt sich dahinter

Birkenwasser schmeckt leicht süßlich und ist farblos wie Wasser. Man entnimmt es aus dem Stamm, den Ästen, manchmal sogar aus den Wurzeln der Weißbirke.

Die Erntezeit ist kurz und geht je nach Witterung nur von Mitte Februar bis Mitte/ Ende April.

Um an den Saft zu gelangen bohrt man ein kleines Loch – etwa zwei Zentimeter tief – durch die Rinde in das Holz. Danach steckt man ein Metallröhrchen hinein und hängt ein Gefäß darunter, in das das Wasser direkt hinein tropfen kann. Hat man genügend abgezapft, entfernt man das Röhrchen und verschließt das Loch im besten Fall mit Harz. Bei der Menge scheiden sich die Geister: Manche sagen, fünf Liter sind ok, andere warnen davor, mehr als einen halben Liter zu entnehmen.

Bei der Menge kommt es vor allem darauf an, wie groß und dick der Baum ist. Je kräftiger, desto mehr Wasser trägt er in sich und desto mehr Entnahme toleriert er. Hört sich eigentlich nicht schlimm an, oder?

Birkenwasser zapfen: Die Ursprünge

Trends sind meistens so schnell wieder weg wie sie gekommen sind. Beim Birkenwasser ist das anders: In Russland, Finnland und auch in Skandinavien zapft man seit Jahrhunderten Birkenwasser. Man macht daraus Wein, Sirup, Bier und auch Honigwein. Birkenwasser findet man heute häufig in Tetra Paks als Saft in Drogerien oder Reformhäusern. Allerdings ist das kein pures Birkenwasser. Um es länger haltbar zu machen, wird es pasteurisiert oder mit Konservierungsstoffen versetzt.

In der UdSSR trank man Birkensaft als Ersatz für Limonade und schwor auf die wichtigen Inhaltsstoffe wie B12 und Vitamin B6. Obendrein galt Birkenwasser als einfach zu gewinnender Durstlöscher für Waldarbeiter.

Birkenwasser zapfen: Diese Inhaltsstoffe machen den Körper angeblich gesund

Wer Birkenwasser trinkt, kann Beschwerden von Gicht, Rheuma, Blutarmut und sogar Diabetes lindern. Wer fastet, entgiftet den Körper mit Birkenwasser. Außerdem ist Birkenwasser Bestandteil einiger Kosmetikprodukte. Wer es pur ins feuchte Haar massiert, kräftigt scheinbar die Haarwurzeln. Auf verschiedenen Naturheilkunde-Foren schwören die Leute außerdem darauf, dass sich Birkensaft positiv auf Allergien, Neurodermitis oder Akne auswirkt. Aber ob das wirklich stimmt?

Studien gibt es dazu bis heute nicht und Belege, dass die vielen Anwendungen halten, was sie versprechen, auch nicht. Übrigens: Wer frisches Birkenwasser zapft, muss den Saft innerhalb von drei Tagen trinken. Länger ist er nicht haltbar. Aber was steckt nun wirklich hinter diesem Trend und was macht es mit der Birke?

Birkenwasser zapfen: Das sagen die Experten

Um mehr über den Trend herauszufinden, wende ich mich an Förster Vinzenz Bader. Der muss doch wissen, was hinter dem Anzapfen der Birke steckt und was das mit dem Baum anstellt. Allerdings Fehlanzeige, er weiß gar nicht, was das bringen soll und meint, dem Baum wird es nicht allzu guttun. Eine richtige Antwort bleibt aus. Also muss ich weitersuchen und frage bei Baumpfleger Ralph Veitengruber aus Freising nach. Auch er kann nur wenig mit dem Trend anfangen.

Allerdings meint er, dass kleine Löcher dem Baum nichts ausmachen sollten. „Wenn man nur ganz wenig anzapft, das Loch klein ist und man es direkt danach verschließt, dann sollte der Baum das schon ganz gut überstehen. Schließlich ist die Rinde wie ein Schutzschild und kann solche kleinen Eingriffe ganz gut wegstecken. Trotzdem verstehe ich nicht ganz, wieso man das trinken muss. Von einer heilenden Wirkung weiß ich nichts“, erzählt er.

Birkenwasser zapfen: Der Natur ihre Nährstoffe lassen

Irgendwie bin ich mit meinen Ergebnissen noch nicht zufrieden und recherchiere weiter. Ich finde ein Interview mit dem Berliner Baumpfleger Rainer Bubenzer. Darin erzählt er, dass Birkenwasser früher wegen seines süßlichen Geschmacks attraktiv gewesen sei. Damals waren Honig und Zucker teuer und rar. Heute würde man das allerdings nicht mehr benötigen, zumal die heilende Wirkung nicht belegt sei. Er weist darauf hin, dass man gegen das Gesetz verstoßen würde, wenn man einfach so eine Birke anbohrt. Schließlich würden die Bäume ja immer irgendwem gehören.

Weitaus schlimmer ist für ihn aber, dass man riskiert, dass Pilze und Bakterien durch die Wunde in den Baum gelangen. Wer trotz allem unbedingt Birkenwasser zapfen möchte, sollte nur größere Zweige anzapfen oder kleine Äste kappen. Der Baum produziert das Wasser allerdings nicht einfach so im Überfluss. Dahinter stecke ein komplexes System, mit dem ein Baum die Nährstoffakkumulation für die Aufgaben der beginnenden Wachstumsphase schon im Vorjahr vorbereitet. Die Birke deckt damit also ihren Nährstoff- und Wasserbedarf. Der Baumpfleger vergleicht Bäume im Frühling mit Kindern in ihrer Wachstumsphase. Die dürften schließlich auch nicht Blutspenden.

Birkenwasser zapfen: Genau abwägen und erst dann entscheiden

Wer trotz allem Birkenwasser zapfen möchte, sollte das nur tun, wenn es im Frühjahr viel regnet. Ansonsten benötigt der Baum alle verfügbaren Wasserquellen selbst. Zudem müssen mindestens zwei Jahre vergehen, ehe man einen Baum ein zweites Mal anzapft. Woher man weiß, ob er bereits angezapft und wie viel Wasser dabei entnommen wurde? Im Grunde gar nicht.

Fest steht, der Baum wird nicht sofort absterben, wenn man ihm etwas Wasser abzapft, freuen wird er sich aber auch nicht. Und mal ehrlich: Wir haben genug gutes Wasser zu trinken und unzählige süße Alternativen, wie z. B. Holundersirup. Da sollten wir vielleicht auf einen Trend verzichten und den Bäumen ihre Lebensenergie lassen.