Flora Incognita: Eine App auf dem Vormarsch

Mit der App Flora Incognita können Pflanzenliebhaber die heimische Flora per Foto bestimmen. Dahinter steckt aber viel mehr: Alice Deggelmann vom Max-Planck-Institut erklärt, wie die Daten aus der Pflanzenwelt der Forschung dienen.

Das Interview führte Franziska Weinstock mit Alice Deggelmann, seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Flora Incognita. Als Botanikerin erweitert sie das Artenspektrum der App, erstellt Pflanzensteckbriefe und verknüpft bei der Pflanzennachbestimmung botanische Merkmale mit deren Taxonomie. Auch im eigenen Garten erforscht sie immer wieder gerne die heimische Artenvielfalt mit Hilfe von Flora Incognita.

Eine App zur Bestimmung von Pflanzenarten: Was war die Motivation dahinter?

Alice Deggelmann: In erster Linie möchten wir die Bestimmung von Pflanzen anhand von Fotos mit dem Smartphone vereinfachen. Bestimmungsschlüssel in botanischen Büchern machen es meist sehr schwer, die richtige Art zu erkennen. Da biegt man einmal falsch ab und schon ist das Ergebnis falsch. Dr. Jana Wäldchen und Prof. Patrick Mäder, die Projektleiter von Flora Incognita, waren sich einig: Durch die Kombination aus Smartphone-Technologie, künstlicher Intelligenz und unserem heutigen botanischen Wissen lassen sich Pflanzen deutlich einfacher bestimmen.

Wie wende ich die App auf meinem Smartphone an?

Alice Deggelmann: Die Flora Incognita App ist komplett werbe- und kostenfrei. Sie kann anonym mit einem Gastaccount genutzt werden und die Bestimmung erfolgt direkt auf den Servern der TU Ilmenau. Nachdem man sie aus dem App-Store heruntergeladen hat, kann es sofort los gehen. Am Anfang drückt man auf die Blüte in der Mitte des Bildschirms. Damit kann man die Bestimmung starten. Spätestens nach der Aufnahme von drei Fotos gelangt man zum Ergebnisbildschirm. Dort werden die besten Treffer angezeigt.

Worauf muss ich dabei achten?

Alice Deggelmann: Die Nutzer müssen die Lebensform auswählen, die sie vor sich haben. Ist es ein Kraut, ein Baum, ein Farn oder ein Gras? Sich zu entscheiden, fällt da oft nicht leicht. Grundsätzlich kann man aber nichts falsch machen! Die Bestimmung wird immer durchgeführt. Je präziser Fotos von der Pflanze aufgenommen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, die Pflanze richtig zu bestimmen.

Was unterscheidet Flora Incognita von anderen Bestimmungs-Apps?

Alice Deggelmann: Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal von Flora Incognita sind die Steckbriefe. Hat man eine Art erfolgreich bestimmt, wird dazu der passende Steckbrief angezeigt. So können sich die Nutzer beispielsweise über Verbreitung, Schutzstatus, Giftigkeit und arttypische Charakteristiken informieren. Durch ihren Ursprung in Deutschland ist die App vor allem auf unsere heimischen Pflanzen spezialisiert. Das trifft auf Smartphone-Programme aus anderen Ländern weniger zu.

Wie hoch ist die Trefferquote?

Alice Deggelmann: Mit einer Genauigkeit von 83 % ist die erste von der App vorgeschlagene Art korrekt. Zu 96 % ist die gesuchte Art unter den Top 5 der Vorschläge. Der Erfolg ist von mehreren Faktoren abhängig: Manche Arten haben nur wenig spezifische Charakteristiken und sehen sich untereinander sehr ähnlich. Gelbe Korbblütler sind für das Netzwerk hin und wieder ein Problem. Da stößt die Bilderkennung an ihre Grenzen. Allem voraus muss die gesuchte Art im System vermerkt sein. Das Netzwerk kann nur Pflanzen erkennen, die es zuvor verinnerlicht hat.

Wofür werden die gesammelten Daten verwendet?

Alice Deggelmann: Da sind uns erstmal keine Grenzen gesetzt. Am wichtigsten ist, dass die Bestimmung mit der Flora Incognita App einen großen Beitrag zum Pflanzenmonitoring leistet. Wird die App eingesetzt, erhalten wir als Forschende wichtige Daten darüber, wann und wo welche Art vorkommt und blüht. Je mehr Menschen die App nutzen, desto mehr Daten stehen uns für die Wissenschaft bereit. Solche Informationen sind auch für Naturschutzbehörden interessant! Ein anderer Aspekt sind invasive Arten, die sich gebietsfremd ausbreiten und unsere heimische Flora und Fauna beeinflussen. Wo sind sie zu finden? Das kann man durch die Standorterkennung bei der Aufnahme von Fotos in Flora Incognita nachverfolgen.

An welcher Art der Datennutzung arbeiten Sie im Moment?

Alice Deggelmann: Derzeit arbeiten wir im Projekt an der phänologischen Auswertung der Daten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Apfelblüte: Der Blühzeitpunkt wird oft mit dem Frühlingsanfang in Verbindung gebracht. Durch den Klimawandel verschiebt sich die Blüte jedoch zunehmend, und das können wir mit unseren Daten über die Jahre gut verfolgen und dokumentieren. So sehen wir beispielsweise, wie sich Pflanzen an den Klimawandel anpassen. Fangen Pflanzen früher an zu blühen? Oder blühen sie gar nicht mehr? Die gesammelten Daten der vergangenen Jahre ermöglichen uns viel weitere Forschungsarbeit in diesem Bereich.

Welche Erfahrungen haben Sie privat als Hobbygärtnerin mit Flora Incognita gesammelt?

Alice Deggelmann: Kurz nach der Veröffentlichung der App 2018 sind wir natürlich erstmal selbst mit dem Smartphone raus gegangen, um die Anwendung zu testen und von unseren Erfahrungen berichten zu können. Das war sehr spannend! Wir waren überrascht, wie gut die Bestimmung in freier Natur funktioniert. Ich weiß mittlerweile so einiges über das heimische Artenspektrum und doch lehrt mich Flora Incognita noch so manches Mal Neues. Auch in meinem eigenen Garten bin ich immer wieder erstaunt: Vor allem in Blühstreifen geht es sehr exotisch zu. Da nehme ich gerne mal das Smartphone zur Hand und wundere mich darüber, was da so wächst!

Wie wird es in Zukunft mit dem Projekt weitergehen?

Alice Deggelmann: Flora Incognita wird bis einschließlich 2024 durch das Max-Planck-Institut für Biogeochemie sowie der TU Ilmenau durchgeführt und mit staatlichen Fördergeldern des Bundesamts für Naturschutz (BfN), des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMU), des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz finanziert.

Die Flora Incognita App wird verbessert und ausgebaut. Wir streben ein größeres Artenspektrum an. Nutz- und Zierpflanzenarten werden in Zukunft stärker mit einbezogen. Auch die dazugehörigen Steckbriefe entwickeln wir weiter. Ein besonderer Fokus liegt auf invasiven Arten, die für die Forschung von großem Interesse sind. Außerdem möchten wir der App in Zukunft eine spielerische Note verleihen, indem z.B. Medaillen oder Badges für besonders viele oder seltene Funde vergeben werden.

Hier gibt’s die App Flora Incognita

Dieser Artikel erschien zuerst in kraut&rüben 01/2021.