Raus in die Berge: Freiwilligen-Camp im Berchtesgadener Land

Viele Leute wollen gerne raus aus den Städten. Im Berchtesgadener Land haben Freiwillige die Möglichkeit, Landleben pur am eigenen Leib zu erfahren und dabei noch Gutes zu tun.

Viele Großstadtbewohner möchten ihren Etagenwohnungen gerne den Rücken kehren und zu einem ursprünglicheren Leben auf dem Land zurückkehren. Im Berchtesgadener Land kann das nun jeder Stadtmensch ausprobieren. In einem Freiwilligen-Camp gibt es die Möglichkeit, Almbauern bei der Arbeit zu helfen und so nicht nur Traditionen zu bewahren, sondern auch aktiv beim Naturschutz zu unterstützen.

Raus aus der Stadt: ein Abstecher ins Berchtesgadener Land

Also fahre ich raus aus München und ab Richtung Salzburg, bis ich an bei der Molkerei Berchtesgadener Land in Piding ankomme. Von hier geht es noch weiter hinein in die Ramsau, einer Gemeinde, deren Fläche größtenteils in den Berchtesgadener Alpen liegt. Irgendwann biegen wir mit dem Molkereiauto von der Landstraße ab auf einen kleinen, steilen Forstweg. Wir sind an der Leyerer Tratte, einer am Fuß des Berges gelegenen Weide, angekommen. Hier wird heute gearbeitet.

Auf der Weide, wo Kälber und Jungrinder grasen, stehen die Freiwilligen verteilt und entfernen Stauden, Büsche und kleine Fichten von der großen Fläche. Das Wetter ist feucht-neblig, das umgebende Bergpanorama lässt sich heute an vielen Stellen nur erahnen. Das, was hier passiert, nennt man das Schwenden. Bei diesem Vorgang befreien die Almbauern die Bergwiesen von nachwachsenden Bäumen und Büschen. Die Weideflächen würden sonst schnell verwalden und wären innerhalb weniger Jahre völlig zugewachsen. Warum mehr Bäume trotz Klimawandel nicht überall wünschenswert sind, hat mir Georg Kronthaler von der Biosphärenregion Berchtesgadener Land erklärt.

Kälbchen auf der Weide am Waldrand
Kälbchen dürfen auf den Weiden nicht fehlen – und haben es mir selbst sehr angetan. Das Kalb wiederum mag wohl meine Jacke gern. © Barbara Steiner-Hainz / Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG

Die Biosphärenregion Berchtesgadener Land: Natur- und Kulturlandschaft

Ein Biosphärenreservat ist eine von der UNESCO ausgewiesene Region mit nachhaltigen Entwicklungen in sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Dazu gehören unter anderem der Erhalt der Artenvielfalt, traditioneller Wirtschaftsweisen und die Beteiligung der breiten Bevölkerung. Im Berchtesgadener Land sollen die traditionell naturnah bewirtschafteten Almweiden nicht nur erhalten werden, weil das von den Touristen erwartet wird. Viel wichtiger ist: Die Biodiversität einer Almwiese ist deutlich größer als die eines Bergwalds. 60 bis 70 Pflanzenarten wachsen allein auf einem Quadratmeter Almwiese.

Die Bergbauern und ihre Kühe erhalten diese einzigartige Landschaft, in der Enzian und Alpenrose blühen. Im Sommer summt und muht es hier, damit es im Winter still werden kann. Zwischen kleinen Waldabschnitten, Steinen, Gräsern und blühenden Blumen entsteht ein einmaliges Ökosystem, dessen Vielfalt weit mehr als nur erhaltenswert ist. Doch dafür müssen die Flächen regelmäßig von Fichten, Heidelbeeren und Erlensträuchern befreit werden. Für örtlichen Landwirte, die überwiegend nur im Nebenerwerb tätig sind, eine allein schwer zu bewältigende Aufgabe.

Heidekraut auf der Bergwiese
Auch spät im Jahr blühen auf den Bergwiesen noch etliche Pflanzen. © Lea Spahn
Zwischen Gräsern, Kräutern und Steinen entsteht so ein einzigartiges Ökosystem. © Lea Spahn

Alle mit anfassen! – Es gibt viel zu tun

Die Landwirte erklären den Teilnehmern, was zu tun ist. Sie verteilen sich am Hang und schwenden. Auch ich lege meinen Fotoapparat beiseite und schnappe mir eine Astschere. Versuchsweise arbeite ich ein bisschen mit. So ganz sicher bin ich mir aber nicht, ob ich auch die richtigen Pflanzen abschneide. Das kleinere Schnittgut lagern die Helfer im anliegenden Wald ab. Das größere wie ganze Büsche und Bäume, die mit dem Freischneider oder der Motorsäge entfernt wurden, transportieren die Bauern mit Traktoren ab.

Mit einigen der Helfer komme ich ins Gespräch. Sie kommen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, von Wien bis Nordrhein-Westfalen, von Hamburg bis Baden-Württemberg. Einige von ihnen sind Studenten, andere Rentner. Auch Berufstätige sind dabei, die ihren Urlaub dazu nutzen, beim Schwenden im Lattengebirge zu helfen. Manche sind sogar schon zum zweiten Mal dabei, denn im vorigen Jahr hat auch bereits ein Freiwilligen-Camp stattgefunden. In den Jahren davor haben sich zum Schwenden viele Bergbauernfamilien zusammengetan und gemeinsam Teilflächen vom unerwünschten Bewuchs befreit. Nun ist auch die Hilfe von außerhalb mehr als nur willkommen.

Neue Menschen, neue Erfahrungen – und neue Blickwinkel

Die meisten kommen allein her, doch binnen weniger Tage bildet sich unter den Freiwilligen ein Gemeinschaftsgefühl. Freundschaften werden geschlossen. Die Bergbauern sind dankbar für die Hilfe, die sie von außerhalb bekommen, die Freiwilligen freuen sich besonders über die gebotene Gastfreundschaft. Der Umgangston ist herzlich, alle sind miteinander per du.

Schwenden heißt, unerwünschte Pflanzen zu entfernen.
Zuerst schneiden die Teilnehmer die kleinen Fichten, Erlensträucher und das Borstgras zurück. © Lea Spahn

Die Teilnehmer kommen überwiegend aus der Stadt – sie genießen die körperliche Arbeit an der frischen Luft und den Ausblick auf die Berge. Das Gefühl, am Ende des Tages etwas geschafft zu haben, fühlt sich ebenso gut an wie die Tatsache, dass die Arbeit nützlich ist und zum Naturschutz beiträgt. Alle verbindet die Freude daran, an der frischen Luft zu sein. Das Anpacken hilft, dem Alltag zu entfliehen und am Berghang zur Ruhe zu kommen. Eine Teilnehmerin aus Hamburg verrät mir: Sie hatte früher kein Interesse an den Bergen, hielt sich eher für einen Küstenmenschen, bis sie im letzten Jahr beim ersten Freiwilligencamp mitmachte. Jetzt liebt sie die Berge. Aktionen wie diese öffnen die Augen für andere Sichtweisen auf die Welt.

Die Teilnehmerin sammelt Äste ein, die entsorgt werden.
Danach sammeln die Freiwilligen die Zweige ein, die später entsorgt werden. © Lea Spahn

Eine weitere Teilnehmerin kommt eigentlich aus der Region, aber wohnt mittlerweile in Wien. Vom Schwenden hatte sie vorher trotzdem noch keine Ahnung. Ihr und vielen der anderen liegt daran, die ursprüngliche Struktur aus vielen kleinen Almen und Höfen und den zugehörigen Kulturraum zu erhalten. Die nachhaltige Art des Wirtschaftens kann dabei nicht nur als Relikt der Vergangenheit betrachtet werden, sondern ein Modell für zukunftsweisende Methoden in der Landwirtschaft sein. Dennoch sagen alle der Teilnehmer aus, dass die harte Arbeit der Bauern an vielen Stellen zu wenig wertgeschätzt wird. Sie selbst haben nun auch hier einen Einblick erhalten. Interessant ist: Bäuerliche Interessen und der Schutz von Natur und Artenvielfalt müssen wohl nicht immer weit auseinanderliegen.

Füreinander da sein, voneinander lernen, das Miteinander fördern

Gegen Mittag fahren weitere Autos vor. Jetzt gibt es Semmeln mit Wurst und Käse, frischen Kaffee, Kuchen und für alle, die wollen, einen Schnaps. Die Unterkunft und das Drumherum für die Teilnehmer sponsert die Molkerei Berchtesgadener Land. Die Verpflegung kommt dagegen von den Bergbauern und Bergbäuerinnen. Eine von ihnen kann sich kaum vorstellen, dass die Leute freiwillig in ihrem Urlaub körperliche Arbeit tun. Für die Landwirtin ist das ihr Tagesgeschäft, für Büromenschen eine entspannende Abwechslung, die den Kopf freimacht – so können alle in die Welt der anderen Einblick erhalten.

Mittagspause mit Semmeln, Kuchen und Kaffee
Auch eine vernünftige Pause mit belegten Brötchen, Kaffee und Kuchen, gebracht von den Bergbauern, darf nicht fehlen. © Lea Spahn

Doch Arbeiten am Berghang ist natürlich nicht alles. An den Abenden gibt es ein buntes Rahmenprogramm mit Vorträgen zur Biodiversität und Landschaftsökologie, zum Nationalpark Berchtesgaden oder auch eine morgendliche Führung durch die Molkerei in Piding. Das Miteinander fördern die gemeinsamen Pausen oder auch Liederabende. So kommt in einer Woche einiges an Programm zusammen.

Dem Alltag entkommen – und die Zeit sinnvoll nutzen

Auch nur nach einem Tag hier im Berchtesgadener Land weiß ich meine Stadtwohnung und meine Arbeit wirklich sehr zu schätzen. Gerade aber zum Entschwinden aus dem stressigen Alltag am Computer kann ich mir durchaus vorstellen, mal einen Tag oder eine Woche in den Bergen mit anzupacken. In Zukunft soll es auch Tageseinsätze für Menschen aus der Region geben, die Zeit und Lust haben, bisweilen in der Biosphärenregion Berchtesgadener Land mitzuhelfen. Alle Interessierten können sich bei Georg Kronthaler (georg.kronthaler@reg-ob.bayern.de) per E-Mail melden – unverbindlich erst mal. Der Blick hinab ins Tal tut aber jedem gut – und der Blick über den Tellerrand erst recht.