Interview: Wildkräuter sammeln in der Stadt mit Victoria von vildvuchs

Wildkräuter kannst du überall sammeln – auch in der Stadt. Victoria von vildvuchs erklärt im Gespräch mit wOnne, wo und wie du sie finden kannst!

Der Begriff „Wildkraut“ meint alle möglichen Pflanzen, die nicht durch menschliche Saat gewachsen sind. Im Biogarten nennt man so auch genau das, was unerwünscht wächst und sonst gerne als Beikraut, Unkraut oder, auf Beamtendeutsch, „Spontanvegetation“ bezeichnet wird. Während die meisten beim Begriff Unkraut wahrscheinlich an Blumenrabatte und Gemüsebeete denken müssen, meint der Begriff nicht nur die Pflanzen, die wir jäten müssen, sondern alles, was sich selbst ausgesät hat. Erstaunlich viele der Wildkräuter sind essbar und eine tolle Ergänzung im abwechslungsreichen Ernährungsplan.

Selbst Wildkräuter sammeln: ein Gespräch mit Victoria von vildvuchs

Das beste an der Sache: diese gesunden Kräuter kannst du quasi überall sammeln gehen! Victoria von vildvuchs ist gelernte Kräuterpädagogin. Sie gibt (Online-)Kurse zu Kräutern, Fermentation und Naturkosmetik und führt Kräuterwanderungen im urbanen Umfeld durch. So zeigt sie uns, dass Wildkräuter nicht nur ein Thema für Landeier mit großen Gemüsebeeten und Wiesen sind, sondern auch für uns Städter. Stephanie von wOnne hat mit ihr gesprochen.

Stephanie: Erzähl mal ein bisschen: Was hast du mit Kräutern am Hut?

Victoria: Ich arbeite ganz viel mit essbaren Wildkräutern, also der kulinarischen Seite der wilden Natur, die um uns herum wächst. Ich werde so oft gefragt, wie ich dazu gekommen bin: Ich bin gar nicht mehr wirklich sicher. Es war auf jeden Fall nach meinem Studium zur Gesundheitsmanagerin. Davor hatte ich an sich nichts mit Garten oder Kräutern zu tun – nur Berührungspunkte in der Kindheit durchs Blaubeeren sammeln mit der Großmutter.

Irgendwann zum Ende meines Studiums begegnete mir die Ausbildung zur Kräuterpädagogin. Da dachte ich mir: Das muss ich machen. Das bin ich. Ich bin da komplett ohne Wissen rein, nur ein bisschen aus dem Biologieunterricht. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr habe ich gemerkt: Ich kann all meine Talente, all meine Leidenschaften in diesem Beruf verbinden und habe mich da total darin gefunden.

Kräuter sammeln im Wald mit vildbuchs
Kräuterpädagogin und -expertin Victoria © Coco Gonser Photograph

Stephanie: Das ist eine sehr schöne Geschichte. Was macht man als Kräuterpädagoge?

Victoria: Das wird man oft gefragt. (Sie lacht) Es ist sehr unterschiedlich. Es geht darum, anderen Menschen beizubringen, was für essbare Wildpflanzen es gibt, was für Heilkräfte diese besitzen und wo man sie findet… Jeder hat da sein Spezialgebiet.

Ich habe mich auf die Kulinarik spezialisiert, weil ich ein total großer Foodie bin. Ich liebe es zu essen und zu kochen. Das ist die schönste Art und Weise, jemanden das Feld nahezubringen, der noch nie Berührungspunkte damit hatte. Denn jeder isst gerne und wenn’s gut schmeckt, dann ist es umso besser. Dann hat man eine emotionale Verbindung zu etwas, was man davor vielleicht nicht kannte. Man denkt: Hm, irgendwie hat das gut geschmeckt, vielleicht hab ich da Lust auf mehr.

Letztendlich arbeitet jeder unterschiedlich. Manche naturkosmetik-lastig, manche heilkundlich und manche eben kulinarisch. Oder alles zusammen, das gibt’s auch.

Stephanie: Und wo liegt dein Fokus?

Victoria: Komplett bei der Kulinarik. Ich kann zwar alles andere auch, aber dafür schlägt mein Herz. Ich gebe Schulungen für Köche, für Azubis, für Chefköche, nehme sie mit nach draußen, um die Kräuter in die Gastronomie zu bringen.

Ich arbeite gern mit Restaurants zusammen, um kleine kulinarische Events zu gestalten und um die Leute aus dem Alltag raus und in die Natur zu bringen. Meine Motivation dahinter ist klar die Nachhaltigkeit, aber ohne den erhobenen Zeigefinger – eher so: „Hier guck mal, das schmeckt gut“.

Ich habe die Hoffnung, dass dann ein Stein ins Rollen kommt und die Leute denken: „Das ist ja cool. Wo ist es denn grün in der Stadt und wo nicht?“ Da fällt einem auf einmal auf: „Boah, Betonwüste. Wir brauchen mehr wilde Natur.“

Stephanie: Wie viele Pflanzen, die wir so am Straßen- oder Wegesrand sehen, sind eigentlich essbar? Oder kann man alles irgendwie zubereiten?

Victoria: Nein. Es gibt natürlich giftige Pflanzen, aber weniger als man denkt. Das fängt schon mit Vogelbeeren an. Sie sind essbar, nur im rohen Zustand ungenießbar.

Wenn ich so etwas erkläre oder poste, dann kommt erst mal: „Was, das wusste ich gar nicht.“ Oder: „Das ist doch giftig, wie kannst du nur?“ Es gibt eine riesige Bandbreite an falschem Wissen. Ich kann dir mal zeigen: das ist ein Buch nur mit essbaren Wildpflanzen, die so in unseren Breitengraden wachsen.

(Victoria hält ein sehr dickes Buch über essbare Wildpflanzen hoch)

Und das sind wirklich nur essbare, es gibt auch noch nicht essbare. Wenn man jetzt spazieren geht, dann sind, ich würde mal sagen, 80% der Pflanzen, die uns begegnen, essbar. Das heißt längst nicht, dass alles schmeckt.

Aber die Frage ist dann: was für einen kulinarischen Wert hat etwas, möchte ich es verwenden? Bei vielen Pflanzen muss man erst wissen, wie man sie zubereitet, um wirklich etwas Leckeres rauszuholen.

Frost auf Holunderblättern
Zu jeder Jahreszeit solltest du sicher wissen, welche Pflanze du sammelst. © IMAGO / Steffen Schellhorn

Stephanie: Du würdest schon empfehlen: entweder eine Kräutertour bei dir machen oder so ein Handbuch mitzunehmen?

Victoria: Am besten beides. Als Erstes zu einer Kräuterwanderung mitgehen. Man lernt schnell, wenn es einem jemand zeigt und kriegt ein besseres Gefühl dafür – man kann noch mal nachfragen. Es gibt viele Handgriffe und Tipps, die man sich beibringen lassen kann. Auch Stellen lernt man kennen, an die man wieder hingehen kann. Wenn man dann selbst geht, sollte man auf jeden Fall ein Bestimmungsbuch mitnehmen. Es gibt Bücher mit Zeichnungen, in denen kann man genau nachgucken, welche Bestimmungsmerkmale es gibt.

Die oberste Regel ist: Nichts essen, was man nicht zu 100% sicher bestimmen kann. Wir haben giftige Pflanzen. Es reicht ja schon, wenn es eine Magenverstimmung ist. Dann hat man keine Lust mehr drauf.

Es gibt zwar auch Apps, die sind super. Das möchte ich gar nicht runterreden – aber die sind für mich nur zum Rantasten. Das Buch ist das Letzte, was ich in die Hand nehme. Nach ihm gehe ich alle Bestimmungsmerkmale ab. Dann muss ich mir selbst zu 100% sicher sein.

Als ich angefangen hab, habe ich Pflanzen so oft stehen lassen, wo ich mir heute denke: „Meine Güte, wie konnte ich die denn verwechseln?“ Aber wenn man anfängt, dann sieht man das nicht. Wenn ich mit Leuten auf Kräuterwanderung geh, sehen sie grüne Wiesen. Ich sehe 50 verschiedene Pflanzen. Diesen Blick muss man lernen.

Stephanie: Was braucht man so, wenn man Kräuter sammeln möchte? Was sollte man mitnehmen?

Victoria: Ich dachte früher immer, ich brauche eine fette Ausrüstung und muss mir jetzt die Wanderschuhe anziehen. Aber ich bin mitten in der Stadt und mache urbane Wildkräuterführungen. Da gehe ich mit meinen Sneakers, meiner Handtasche oder meinem Rucksack. Das Einzige, was ich brauche, ist ein Sammelbeutel, am besten irgendeinen Jutebeutel. Oder gebrauchte kleine Plastiktüten.

Dann noch eine Schere oder ein kleines Messer, kein riesiges. Bei Kräutern ist es besser, wenn man sie abschneidet, weil man sonst manchmal die Wurzel mit rausreißt. Neben dem Bestimmungsbuch braucht man sonst eigentlich nichts.

Stephanie: Das ist ja gar nicht so viel.

Victoria: Überhaupt nicht. Das kann eine kleine Tüte und ein kleines Messer sein, so eins für den Schlüsselbund. Das kann man immer dabeihaben. Wenn ich irgendwo unterwegs bin, schlummert in irgendeiner Tasche immer ein Jutebeutel. Ich bin also immer sammelbereit. Du musst nicht mit der Regenhose und den Wanderstiefeln losziehen. Sobald über Wiesen läuft, wo ein bisschen höheres Gras ist, muss man wegen der Zecken aufpassen. Davor habe ich mehr Angst als vorm Fuchsbandwurm oder Hundepipi. Da würde ich empfehlen, eine lange Hose und Socken zu tragen.

Frau erntet Brennnesseln mit bloßen Händen.
Zum Wildkräuter sammeln brauchst du nur wenig Ausrüstung. Die Pflanzen stecken dabei voller gesunder Nährstoffe. © alicja neumiler – stock.adobe.com

Stephanie: Wo sammelt man denn am besten Wildkräuter oder -pflanzen in der Stadt?

Victoria: In jeder Stadt gibt es ja Grünflächen. Weil alle immer aufschreien: „Hundepipi! Wie kannst du nur!“, muss man einfach mal den gesunden Menschenverstand einsetzen. Natürlich geh ich jetzt nicht da sammeln, wo tagtäglich unglaubliche viele Hunde vorbeilaufen. Auch niemals direkt am Straßen- oder Wegrand: ich geh immer weiter rein.

Wir haben so viele essbare Heckenpflanzen oder Bäume. Das ist mein Tipp für jemanden, der in der Stadt wohnt und sagt: Ich wohne an einem Park, aber da sind so viele Hunde. Einfach mal den Blick nach oben wandern lassen. Wir haben tolle essbare Baumblätter, Baumfrüchte, Heckenfrüchte, eine unglaubliche Vielfalt. Ansonsten gilt eben: die Sachen waschen.

Ich habe jetzt nicht so viel Angst vor Hundepipi. Das, finde ich, muss man immer in Relation stellen: Wenn ihr nicht unbedingt Demeter-Produkte einkauft, überlegt euch einfach mal, wo euer Gemüse wächst. In Italien an der Autobahn. An Stellen, wo auch der Fuchs drüber läuft oder der Hund. Das wäscht man auch und macht sich keine Gedanken. Das kann man mal in Relation setzen, damit man weniger Angst hat. Einfach waschen und gut ist.

Stephanie: Sollte man da lieber in einen Park gehen oder kann man sich auch Grünstreifen am Straßenrand anschauen? Oder würdest du davon wegen der Abgase eher absehen?

Victoria: Auf jeden Fall, ja. Also wenn es Grünstreifen sind, die an der Straße liegen, auf keinen Fall. Da haben wir einfach zu große Belastungen. Klar haben wir in der Stadt höhere Belastung durch Abgase, das müssen wir einfach sehen. Das ist einfach der Nachteil zum Land. Wir haben aber viele Vorteile: Hier wird nicht so viel gespritzt. Und alles, was hinter einer Hecke liegt, das ist schon wieder super. Einfach den Menschenverstand einsetzen.

Es gibt auch alte Friedhöfe, die nicht mehr aktiv sind, wo keine Hunde reindürfen, Wiesen, die abgezäunt sind und eher für Familien gedacht sind. Da kann man hin. Man muss sich eben ein bisschen Gedanken machen.

Wenn man Flächen sieht, kann man auch die Besitzer mal fragen, ob man da mal draufdarf, wenn das riesige Flächen oder Gärten sind, die irgendwie eingezäunt sind. Ich gehe ganz oft irgendwo vorbei und sehe einen Magnolienbaum – und dann klingle ich. „Sie haben da so einen super Baum, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich da so 2 oder 3 Blüten mitnehme, ich würde die gerne einmachen.“ Die Leute freuen sich und man kommt mit ihnen ins Gespräch. Einfach mal fragen.

Stephanie: Wie viel darf man eigentlich sammeln? Gibt es da irgendwelche Handreichungen, sodass man nicht zu viel mitnimmt und auch noch genug für Insekten übrigbleibt?

Victoria: Nach „zu 100% wissen, was man sammelt“, ist das die zweite große Regel: das nachhaltige Sammeln. Das ist gesetzlich vorgegeben. Wir haben in Deutschland eine Regelung dazu, die sogenannte Handstraußregelung. Das heißt: Alles, was so in meine Hände passt, darf ich für private Zwecke entnehmen, solange es nicht auf Privatbesitz ist und solange die Pflanzen nicht auf der geschützten Liste stehen. Da kommt dann wieder das Bestimmungsbuch zur Geltung, weil da drinsteht, ob die Pflanze auf der Roten Liste steht. Die Schlüsselblumen sind zum Beispiel bei uns in Süddeutschland auf der Roten Liste.

Mehr erfahren: Die Wildkräuter im Laufe der Jahreszeiten

Victoria hat noch über mehr Dinge gesprochen, etwa darüber, was ihre liebsten Kräuterrezept sind, wie man Bärlauch von Maiglöckchen unterscheidet und warum man diesen in Berlin nicht pflücken darf. Wer mag, kann sich jetzt das gesamte aufgezeichnete Interview auf unserem Instagram-Account ansehen.

Einige schmackhafte Wildkräuter wachsen sogar über den Winter hinweg! Eine Liste mit fünf Kräutern, die du auch jetzt sammeln und genießen kannst, haben unsere Kollegen bei kraut&rüben hier für dich gesammelt. Mit diesen Kräutern können wir, genauso wie Viktoria, leckere Gerichte kochen. Wie wäre es, unsere Zucchini-Suppe zu kochen und sie mit frischem Löwenzahn zu verfeinern? Wir wünschen viel Spaß und guten Appetit!