Vom Müllerhandwerk: Korn, Kleie, feinstes Mehl

Es klappert die Mühle am rauschen den Bach.“ So singt man. Aber arbeitet ein Müller wirklich noch so? Wie aus Getreide die Hauptzutat für unser tägliches Brot wird.

Meine Vorfahren waren Müller, eigentlich sollte ich es besser wissen. Trotzdem denke ich beim Beruf des Müllers zuerst an das Volkslied und einen Mann mit weißer Zipfelmütze und schwerem Mehlsack auf dem Rücken. Aber ist ein Müller wirklich noch traditioneller Handwerker oder hat sich der Beruf eher in Richtung Lebensmittelchemiker entwickelt?

Eine Mühle für 320.000 Menschen

Selten kommen wir vom Einkaufen ohne Mehl- und andere Getreideprodukte zurück; einen Großteil unserer Nahrungsmittel gäbe es nicht ohne. Ob für Müsli, Babynahrung, Pasta, Kuchen oder Brot: Jedes Jahr werden in Deutschland etwa acht Millionen Tonnen Weizen und Roggen zu Schrot, Gries und Mehl vermahlen. Aber wo? In einer von bundesweit rund 550 Mühlen.

Rein rechnerisch versorgt ein deutscher Mühlenbetrieb also etwa 320.000 Einwohner mit Mehl und anderen Mahlerzeugnissen. Um diese Mengen zu bewältigen, wird oft in drei Schichten rund um die Uhr gemahlen.

„Wir haben in Süddeutschland, in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinlandpfalz, die größte Mühlendichte. In Norddeutschland gibt es deutlich weniger, dafür größere Betriebe. Die im Süden sind meistens kleiner und man kann dort noch erahnen, wie es früher einmal war.“ Dr. Andreas Baitinger ist Leiter der Gewerblichen Schule im Hoppenlau (Stuttgart), einer der beiden deutschen Schulen für Verfahrenstechnologie in der Mühlen- und Getreidewirtschaft, im Volksmund einfach „Müller“ genannt.

Andreas Baitinger Gewerbliche Schule
Dr. Andreas Baitinger von der Gewerbliche Schule Stuttgart © Steffen Hoeft, Bundesmühlenkontor

In Hoppenlau, wie auch an der zweiten Schule in Wittingen (Niedersachsen), kommen pro Jahrgang rund 50 angehende MüllerInnen aus ganz Deutschland zusammen und werden in Fachtheorie und Fachpraxis unterrichtet. Drei Jahre lang, in drei Blöcken á sechs bis sieben Wochen. Da das Einzugsgebiet so groß ist, wohnen die jungen Frauen und Männer in eigenen Wohnheimen, bis sie wieder zurück in ihre Ausbildungsbetrieben kehren.

Verfahrenstechnologie in der Mühlen- und Getreidewirtschaft

„Früher, vor 20-30 Jahren, kamen 20-30 % der Schüler aus eigenen Betrieben. Jetzt sind es vielleicht noch 10 %. Die haben quasi den Mahltrieb schon genetisch verankert, die können gar nicht anders“, lacht Dr. Andreas Baitinger. „Die meisten Schüler kommen aber über Praktika in die Mühlen. Sie sind fasziniert von der Technik und den Getreiderohstoffen.“

Alte Mühlsteine
Ein Blick auf eine historische Mühle. © Bezirk Oberbayern, Archiv FLM Glentleiten, Bäck

Das Berufsbild des Müllers, der Einfachheit halber belasse ich es bei der Bezeichnung und denke mir den Verfahrenstechnologen in der Mühlen- und Getreidewirtschaft dazu, ist vielseitig. Es schließt viele Bereiche und Fertigkeiten ein. Handwerkliche, kaufmännische, technische, im Kundenkontakt mit Bäckereien, Backbetrieben oder Endverbrauchern menschliche und nicht zuletzt auch wissenschaftliche: „Sie müssen auf der einen Seite eine komplexe Anlage bedienen können, auf der anderen Seite im Labor im Milligramm-Bereich beispielsweise den Mineralstoffgehalt bestimmen.“, betont Dr. Baitinger.

Die Müller-Ausbildung beginnt bereits in der Landwirtschaft

In einer Kooperation mit der Universität Hohenheim werden angehende Müller auf die wachsenden Anforderungen der Zukunft vorbereitet. „Das Potential der Getreiderohstoffe wird für die Müllerei noch viel stärker an Bedeutung gewinnen. Denken wir nur an das Thema Düngemittelverordnung, Reduzierung des Düngeaufwandes, das hat Konsequenzen auf die Proteinqualität und die Verarbeitungseigenschaften der Getreide und der Mehle“, erklärt Dr. Baitinger.

Wenn der Anteil an ökologischen Anbauflächen in Deutschland, wie vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geplant, bis 2030 auf 30 % steigen soll, muss die ganze Wertschöpfungskette vom Landwirt über den Müller bis hin zum Bäcker darauf vorbereitet sein.

Geforscht wird in Hohenheim beispielsweise mit Emmer und anderen Spelz- und Urgetreidesorten. Beim Spelzgetreide wird das Korn von einer schützenden Hülle umgeben. Dadurch ist es beständiger gegenüber Witterung, Schädlingen und Getreidekrankheiten. Daher eignet es sich besser für den ökologischen Anbau. Die Schüler beteiligen sich an kleinen Forschungsarbeiten, machen Feldbegehungen und Mahlversuche mit Emmer.

Der Rohstoff bestimmt die Backqualität

Schlussendlich ist der Rohstoff ausschlaggebend für ein gutes Mahlergebnis. Laut Dr. Baitinger hängen 80 % der Qualitätsfragen, der Lebensmittelsicherheit und der Kosten einer müllerschen Kalkulation mit der Beschaffenheit und den Eigenschaften des Getreides zusammen. Ein Müller schüttet nicht einfach oben Getreide in seine Mühle und holt unten – schwups, schon fertig – perfektes Mehl heraus. Er muss sämtliche Bereiche im Blick haben. Das beginnt schon bei der Anlieferung. Welche Sorten garantieren auch bei geringer oder fehlender Düngeleistung Proteinqualitäten, die backtechnologisch relevant sind?

Manchmal fungiert der Müller hier auch als Berater für Landwirtschaft, Backbetriebe und Bäckereien. „Der Handwerksbäcker möchte sozusagen Clean-Label-Produkte herstellen, die auf dem Etikett oder in der Filiale nicht mit Zusatzstoffen wie Backmitteln gekennzeichnet werden müssen. Und wenn er da mit einem guten handwerklichen Mühlenbetrieb zusammenarbeitet, dann kann der Müller ihm Mahlerzeugnisse liefern, die keine oder sehr wenig Backmittel erfordern.“, erklärt Dr. Baitinger.

Die Anforderungen an das Getreide steigen

Qualitätsrelevant sind nicht nur Schädlinge und Pilzbefall: Auch fehlende Sortenreinheit und Schwankungen in der Mehlqualität bedeuten für große Backbetriebe eventuell einen Ausschuss von mehreren Tonnen Backwaren. Diese Schwankungen kommen häufig durch kleine Unterschiede in der Rohstoffzusammensetzung. Welche Getreidesorte wird geliefert? Ist die Lieferung sortenrein? Ein Müller muss die Sorten gut kennen und wissen, welche Mischungen es gibt.

Mehlsäcke in der Hofbräuhaus-Kunstmühle
Große Mehlsäcke in der Hofbräuhaus-Kunstmühle. © Beate Zöttl

Das bestätigt auch Stefan Blum, in 4. Generation Betreiber der Hofbräuhaus-Kunstmühle. Damit ich mir vorstellen kann, was in einer Mühle passiert, führt er mich durch seinen Betrieb mitten in der Münchner Innenstadt. „Die Qualität wird ständig kontrolliert – schon während der Ernte ganz intensiv auf Pilzbefall. Wir bekommen anfangs Proben und sichten sie im Labor. Manche Landwirte beliefern uns schon 30 Jahren zuverlässig mit guter Ware. In so einem Fall reichen manchmal Stichproben. Alles andere Getreide durchläuft das klassische Programm an Laboruntersuchungen. Wenn etwas nicht in Ordnung ist oder sich nicht zum Vermahlen eignet, müssen wir es zurückschicken.“

Futter-, Mehl- und Schälmüller

Statt schweren Säcken tragen Müller heute also die Verantwortung für komplexe Betriebe, hochtechnisierte Anlagen und strenge Qualitätskontrollen. „Körperliche Kraft, wie sie vielleicht noch vor 50 Jahren nötig war, braucht man heute nicht mehr.“ So steigt auch der Anteil von Frauen im Beruf stetig, laut Dr. Baitinger auf 15-20 % in manchen Jahrgängen. In der Schule werden alle gemeinsam zu Futter-, Mehl- und Schälmüllern ausgebildet.

Auszubildende an der gewerblichen Schule Stuttgart
Auszubildende an der Gewerblichen Schule Stuttgart lernen das Müllerhandwerk. © Steffen Hoeft; Bundesmühlenkontor

Getreide wird zwar fast überall benötigt, in der Mühle landen trotzdem nur etwa 20 % der gesamten Getreideernte. Etwa 60 %, vor allem Weizen, Mais, Gerste und Raps, wird zu Futtermitteln für Rinder, Schweine, Hühner, Puten, Enten und Gänse verarbeitet. Rund 20 % dienen weiterer Nutzung wie Energie, Saatgut, Ölproduktion oder Arzneimittelherstellung.

Qualitätskontrolle im mühleneigenen Labor

Aber zurück in die Mühle: Das Getreide vom Feld enthält noch viele Beimischungen wie Sand, Steinchen, Unkraut oder andere Pflanzenteilchen. Im Mühlenlabor wird jede Anlieferung einerseits auf Pflanzenkrankheiten kontrolliert, darunter Mykotoxin, ein Stoffwechselprodukt aus Schimmelpilzen. Andererseits auf Beikräuter und andere Fremdstoffe, die später beispielsweise über einen sogenannten Farbausleser aussortiert werden. Diese hochtechnisierte Maschine erkennt mithilfe von Kameras minimale Farbunterschiede und „schießt“ identifizierte Beimischungen mit Luftdruck aus, d. h., trennt sie vom Rest der Körner.

Farbausleser werden auch zum Schutz vor Mutterkorn eingesetzt, einem schlauchartigen giftigen Pilz, der aus den Ähren befallener Getreidepflanzen wächst. Die Grenzwerte für zulässige Mutterkorn-Belastung wurden zuletzt zum 1.1.2022 gesenkt auf 0,2 g/kg für unverarbeiteten Weizen (Verordnung (EU) 2021/1399).

Schießen, scheuern, sieben, schütteln, nochmal sieben, nochmal rütteln…

Durch Rütteln, Sieben, starke Luftströme und Magnete wird das Getreide gereinigt und die Oberfläche gescheuert und gebürstet. „Zur Reinigung der Körner sind von Stockwerk zu Stockwerk mehrere Maschinen hintereinandergeschaltet. Den Transport von einer Maschine zur anderen übernimmt dann nach unten die Schwerkraft. Nach oben werden sie entweder pneumatisch gesaugt oder, wie bei uns, über Elevatoren mechanisch gehoben“, erklärt Stefan Blum.

In der Regel wird das Getreide danach konditioniert, d. h. mit Hilfe von Wasser befeuchtet, um die Schale etwas aufzuweichen und elastischer zu machen. Jede Mühle braucht im Mahlgang ihre eigene Prozessfeuchtigkeit. „Wenn das Getreide zu trocken ist, springt die Schale zu stark und wir haben von Anfang an feine Schalenteilchen, die wir nicht mehr aus dem Mehl herausbekommen. Wenn es zu feucht ist, wird das alles zäh und man bekommt keinen vernünftigen Prozess zustande. Ziel ist, dass sich das Getreide gleichmäßig vermahlen lässt, damit man nicht ständig die Walzen verstellen muss.“, betont Stefan Blum, der eigentlich Jura studiert hat und erst später in den Familienbetrieb eingestiegen ist.

Plansichter Mühle
So sieht ein Plansichter aus. © Hofbräuhaus-Kunstmühle

Wichtig ist, Schale und Mehlkörper schonend zu trennen

Nach etwa 8 Stunden Einwirkzeit geht’s endlich auf die Mühlwalzen, um Schale und Inneres von einander zu trennen. Gemahlen wird in immer gleichen, sich ständig wiederholenden Abfolgen, sogenannten „Passagen“, erklärt Stefan Blum: „Die Mühle, das ist Zerkleinerung und Sortierung. Zerkleinert wird mit Walzen, sortiert wird mit dem Plansichter“. Dies ist eine Art Siebstapel mit nach unten feiner werdenden Maschenweiten, der in kreisenden Bewegungen grob nach fein sortiert. Auch die Walzenpaare werden mit jedem Mahlgang feiner, von grob geriffelt, über fein geriffelt bis hin zu Glattwalzen. Nach jedem Walzenpaar, jeder Zerkleinerung geht es auf den Plansichter, also auf die Siebmaschine, wo Mehl gesiebt wird. Eine Passage ist abgeschlossen, eine neue beginnt.

„Das, wo Mehl und Schale nicht getrennt ist, fällt über ein Rohrsystem wieder zurück nach unten zu den Walzen. Wieder zerkleinern, wieder rauf, wieder sortieren. Das geht also immer hin und her zwischen den Walzen und den Sieben, bis letztendlich Mehl und Schale komplett voneinander getrennt sind.“, zeigt Stefan Blum.

Grob oder griffig: Auch der Mahlgrad macht das Mehl

Am Ende jeder Passage bleiben

  • Schrot (relativ grob mit viel Schale und Mehl)
  • Gries (etwas Schale, Mehlanteil noch nicht fein)
  • Dunst (keine Schalenteile, feinkörnig, sehr gut für Nudeln und Spätzle) und
  • Mehl (keine Schalenteile, pulvrige Konsistenz).

Aus den Schalenresten des Korns entsteht die Kleie. Nur beim Vollkornmehl bleiben alle Bestandteile des Korns enthalten – Schale, Keimling und Mehlkörper. Je nach Passage bleiben immer weniger Teile von Schale und Keimling zurück, das Mehl wird heller.

In der Hofbräuhaus-Kunstmühle gibt es beispielsweise 16 Passagen, also werden aus jedem Korn 16 verschiedene Mehle hergestellt. Durch Mischen der Mahlprodukte aus den verschiedenen Passagen oder Kombination verschiedener Verfahren lassen sich daraus unterschiedlichste Mahlerzeugnisse herstellen.

Kontrolle der verschiedenen Siebschichten
Stefan Blum zeigt Schrot, Gries und Dunst auf drei Siebschichten. © Beate Zöttl

Qualitätskontrolle bis zum Schluss

Am Schluss wird die Mehlqualität über die Laborwerte hinaus in der müllerschen Versuchsbäckerei kontrolliert. Nach einem Zwischenlager im Silo geht’s dann in die Auslieferung – Kleinpackungen für den Einzelhandel, große Säcke oder Silo-LKWs für Bäckereien und Backfabriken.

Das absolute Highlight am Beruf? Stefan Blum freut sich, dass „die Qualität wirklich beim Endprodukt aufhört. Da bekommt man sehr viel Feedback. Und das ist eigentlich das Schönste an der Arbeit.“ Auch sein Sohn scheint überzeugt. Nach dem Abitur hat er sich für eine Lehre entschieden und besucht aktuell die Gewerbliche Schule im Hoppenlau. Die nächste Generation Müller reift heran.